Gemeinschaft in der Selbständigkeit

Bevor wir einsteigen, hier eine kleine Begriffsklärung. Das Wort Gemeinschaft ist dadurch verwässert worden, dass jede Saftmarke eine eigene Community „betreibt“ und ein gemeinsamer Hashtag angeblich ausreicht, um ein gemeinsames Gefühl zu wecken.

Aber Gemeinschaft, wie Freundschaft, kann nicht so gut betrieben werden. Beides muss wachsen.

Wachsen wiederum braucht Zeit, und enthält alle Phasen, die schweren wie die leichten – denn auch eine Gemeinschaft fühlt sich nicht immer gut an, ist kein Ort, an dem man nur auftaucht, wenn alles easy und happy ist.

Gemeinschaft wie Freundschaft enthalten Raum für unglückliche Momente, für Spannungen, Reibungen, Konflikte, Auseinandersetzung in einem respekt- und liebevollen Rahmen. Sie enthalten beide Raum für Stärkung, Mutmachen, Unterstützung, praktischen und theoretischen Rat. Und sie enthalten Raum für Präsenz, für das gegenseitige Bezeugen davon, dass wir da sind, wie wir da sind, wie und mit welchen Geschichten wir hier gelandet sind, wo wir eventuell hin wollen.

All das meine ich inzwischen mit „Austausch“: Gemeinschaft als eine Form von vielmenschiger Freundschaft. Ich will in eine Gemeinschaft Verbindlichkeit mit hinein bringen, Zeit, Mühe. Kein Rechnen, wer wie viel gemacht hat, wer dran ist mit was, wer welche Agenda verfolgt. Stattdessen Offenheit und Vertrauen und einen guten Satz an gemeinsamen Grundwerten.

Diese Artikelreihe ist somit keine Hopp-hopp-Anleitung für mehr Gemeinschaft in der Selbständigkeit, keine „7 Tipps, wie du dich in deiner Arbeit weniger alleine fühlst“.

Er ist eher: Eine Einladung an dich, mit Kathrin und mir gemeinsam zu skizzieren und auszuloten, was für eine Gemeinschaft wir Selbständige uns überhaupt vorstellen können und wollen. Welche Rituale wir für uns finden können.

Selbständige brauchen Gemeinschaft

Was im ersten Moment verwirrend klingt, erweist sich erfahrungsgemäß schnell als wahr: Gerade weil Selbständige es gewohnt sind, alles selber zu machen und alleine zu entscheiden, arbeiten sie oft ohne eine „klassische“ Gemeinschaft um sich herum und haben aber trotzdem ein (manchmal verstecktes) Bedürfnis danach.

Denn wir brauchen Unterstützer:innen, in kritischen und in alltäglichen Momenten.

Wir brauchen die guten Stimmen, die uns sagen, dass sie das kennen und wie sie damit umgegangen sind und die vielleicht ganz neue Ideen einbringen oder den Impuls dazu geben. Diese Form von verbindlicher, starker, ehrlicher Gemeinschaft gibt uns Kraft und Mut und hält uns wach und vor allem entkoppelt sie uns von der kampfgeprägten kapitalistischen Erzählung, dass alles knapp ist und wir nur alleine gewinnen können.

Gemeinschaft ist (auch) eine Einstellungsfrage

Deshalb reicht es mir nicht, einfach praktische Tipps zum Zusammenarbeiten herauszuhauen, in dem Versuch, halt etwas weniger allein zu sein.

Die entscheidenden Fragen passieren in uns. Zum Beispiel: Was würde sich in dir verändern, wenn du wüsstest, dass du wirklich dazu gehörst? Dass du dich bereits in Gemeinschaft befindest? Was, wenn du das Sorgen für andere (auch beruflich) wirklich in den Mittelpunkt stelltest – in dem sicheren Wissen, dass andere wiederum mit gleichem Einsatz und gleicher Energie für dich sorgen?

Diese Fragen verlangen von uns, dass wir uns anders verhalten, offener zeigen, verletzlicher machen, kein jeder-gegen-jeden-Ding fahren.

Die Welt ist wirr und anstrengend gerade, und als Selbständige können wir uns manchmal besonders gut aus dieser gehetzten Irrheit herausnehmen und in anderen Momenten sind wir ihr besonders exponiert ausgesetzt.

Wie wir damit umgehen, beantworten wir uns täglich und jede:r für sich. Aber, wie Jen Lemen in einem Newsletter schrieb: „Wenn wir diese Fragen zu vereinzelt beantworten, laufen wir Gefahr, unsere Probleme allein zu lösen. Wir laufen Gefahr, in die Tretmühle der Selbstregulierung und der endlosen Selbstoptimierung zu geraten, obwohl wir uns eigentlich in einem viel größeren Rhythmus der Zugehörigkeit finden könnten.“

(If we answer too separately or too individually, we run the risk of sorting out our troubles alone. We run the risk of getting on the treadmill of self-regulation and endless self-mastery when we were meant to find ourselves in much bigger rhythms of belonging.)

Du gehörst dazu

Kürzlich schrieb ich in einem Brief:

„Ich bin mit keiner starken Erfahrung von Gemeinschaft oder Community aufgewachsen. Das liegt an den vielen Umzügen, an den acht verschiedenen Schulen, die ich besuchte, jedes Mal war ich der neue Mensch und jedes Mal etwas komischer, jedes Mal hatte ich eine andere Strategie, anzukommen und mich zu zeigen oder auch nicht. Das liegt daran, dass ich nie Mitglied in einem Verein war, oder einer Kirchengemeinde, oder bei den Pfadfindern, dass ich kein Alumni einer Uni bin, dass ich nicht auf dem Wagenplatz lebe. Und es liegt daran, dass ich mich in Menschengruppen grundsätzlich nie sehr wohl gefühlt habe.

Meistens bin ich ganz gut klargekommen, habe enge einzelne Freundschaften gefunden und gepflegt, und tiefe Beziehungen zu meinen Eltern und meinem Bruder, fühlte mich mal verbunden, mal alleine und glücklich dabei, mal einsam. In diesem Modus habe ich nach meiner Ausbildung einen vereinzelten Weg gewählt, ziemlich schnurstracks in die Selbständigkeit, nicht wirklich überraschend.

Nach dem Wirbel der ersten Pandemie-Monate und den damit einhergehenden Veränderungen meines Geschäftsmodells zog ich mich eine ganze Weile zurück, um die Grundfarben und Hauptknoten des Die-gute-Website-Geflechts anzuschauen, abzuwiegen, zu sortieren und in Teilen neu zu flechten. Und ich habe dabei staunend entdeckt, an wie vielen Stellen die Fäden der Gemeinschaft, der Verbundenheit, des Nicht-alles-alleine-tun-müssens auftauchen. Wie wichtig diese Fäden sind für alles andere, was mir wichtig ist.

Über dieses Hineinspüren und Aufzwirbeln und Neu-Verknoten konnte ich überhaupt erst ein paar Sachen benennen, wichtige Sachen: Wie wenig Gemeinschaft ich im Aufwachsen erlebt hatte. Dass ich das immer noch lernen und erfahren darf und kann. Dass ich mir seit Jahren bereits unbewusst eine Gemeinschaft aufbaue, über meine geliebten Briefe, meine geliebte monatliche Telko, meine geliebten Gruppenkurse. Dass ich diese Gemeinschaft so prägen und gestalten kann, dass da Raum für alle ist, auch die, die sich sonst vereinzelt und außenseiterisch fühlen. Dass ich nicht weiter alles alleine machen will und mich so sehr freue, dass ich dieses Projekt inzwischen zu zweit gestalten darf. Dass ich bereits ein weites Netzwerk um mich habe, und wie viele schöne Ideen da auftauchen und wie viele schöne Kooperationen daraus in nächster Zeit erwachsen werden.

Ich verinnerliche selber immer mehr einen der stärksten Gedanken, die beim ersten Website Erstellen Gruppenkurs aufgetaucht sind. Es ging um den Mut, den wir brauchen, um wirklich mit unserer eigenen Website und unseren wirklich wahren eigenen Worten sichtbar zu werden. Ohne dass ich es geplant hätte, schlich sich in mein Impulsvideo zu diesem Thema der Gedanke, die Erinnerung, ein: Du gehörst dazu. Du bist Teil von dieser Welt, du hast ein Recht, dich zu zeigen, du bist verwandt mit all diesen anderen Wesen da draußen, den menschlichen und den nicht-menschlichen.

Und ja, das gab Tränen, bei mir und den anderen, und es brachte Bewegung und Verbindung, und nein, ich bin noch lange nicht durch mit diesem Satz.“

Selbstgewählte Dörfer

Diese gemeinschaftliche Erfahrung erinnert mich daran, was Kathrin kurz nach diesem Brief hier auf Instagram schrieb (in dem Post, in dem sie das Weben in den Webseiten entdeckte):

„Ich bin seit ein paar Tagen in der Gegend zu Besuch, in der ich aufgewachsen bin. Ein kleines Dorf in einer leicht hügeligen Landschaft, in dem fast alle von den Berufen und Krankheiten der anderen wissen. ⁠

Wenn ich hierher zurückkehre, gehe ich einerseits sehr gern viel spazieren (vor allem, weil es hier nun einen sehr fröhlichen Hund gibt) – und denke andererseits viel über das Dorfleben und Nachbarschaft nach. ⁠

Ich realisiere, dass ich mich hier nie richtig wohlgefühlt habe. Ich hatte immer das Gefühl, nicht richtig hineinzupassen in das enge Gefüge hier; in Traditionen und übliche Lebensläufe. Und deswegen komisch beäugt zu werden.

Ich realisiere, dass ich die ersten positiven Gemeinschaftsgefühle meiner Jugend nicht in der Schule, in Jugendclubs oder an Bushaltestellen – sondern im Internet und auf Webseiten gesammelt habe. Webseiten, die Platz für mich und meine Texte hatten. Für das, was komisch an mir war. Und für all die anderen, die auch so komisch waren. Für die Communitys, die wir gebildet haben, die Foren, die wir belebt haben. ⁠

Das waren sehr wichtige Erfahrungen, die ich mitgenommen habe in spätere Gemeinschaften und späteres Netzwerken. ⁠

Jetzt kehre ich ab und zu hierher zurück, atme die (gerade sehr herbstliche) Luft, weiß um die Gemeinschaften um mich herum, analog und digital – und teile meine Gedanken mit ihnen. Zum Beispiel hier. ⁠

Wie gut, wenn man sich seine Gemeinschaft und seine Netzwerke, wenn man sich sein „Dorf“ aussuchen kann.⁠“

Welche Dörfer hast du dir ausgesucht?

Im zweiten Teil dieses Artikels sammeln wir Ideen, wie wir diese Art von Gemeinschaft tatsächlich umsetzen können – falls du schöne Beispiele und Ideen dafür hast, schicke sie uns gerne!

Wir sind interessiert an jeder Art von Gemeinschaft für Selbständige und an allen Erfahrungen, die du bisher dazu gemacht hast, und wollen sie hier für uns alle zur Inspiration bündeln.

(Und melde dich hier für die Briefe an, dann geben wir dir Bescheid, wenn der zweite Teil online ist!)



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